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Tod meines Vaters

[9. Januar 2008]

Mehr als 30 Jahre nach dem Tod meines Vater fuhr ich zur Unglücksstelle, um den Hergang des Unfalls zu rekonstruieren.

Meine Mutter hatte immer erzählt, mein Vater sei von der Arbeit gekommen, wollte nach Hause (Braunichswalde) fahren und wurde von einem WISMUT-Laster erfaßt, der den Berg herunter (von Ronneburg) kam.

Wenn mein Vater von der Arbeit kam, mußte er an besagter Stelle rechts abbiegen. Für ein Moped war genügend Platz. Notfalls hätte er auf einen kleinen Parkpatz vor der Kneipe ausweichen können. Das ergab keinen Sinn. Dazu kam, daß meine Mutter sagte, mein Vater wäre betrunken gewesen.

Nach der Aussage meiner Mutter, kam mein Vater von der Arbeit, hielt an der Kneipe, genehmigte sich einige Bierchen und Schnäpperchen, schwang sich dann auf das Moped, das an der Kneipe lehnte, und wollte nach Hause.

Ich habe über zehn Jahre getrunken. Ich weiß, wie man auf zwei Rädern fährt, wenn man besoffen ist: wenn mein Vater mit seinem Moped so getorkelt wäre, daß er auf die Straße gekommen wäre, hätte er gute fünf Meter schwanken müssen, so breit ist der Platz vor der Kneipe. Ich glaube, er wäre eher umgefallen.

Am Ort des Geschehens vermutete ich: mein Vater ist VOR der Arbeit in die Kneipe, und als er zur Arbeit fahren wollte - vom Parkplatz über die Straße und nach links abbiegen -, wurde er von dem LKW erfaßt, der beladen und von links den Berg herunterkam.

Mein Vater hat das Bewußtsein nicht wiedererlangt. Ich glaube, auf dem Weg zum Krankenhaus, ist er gestorben. Vielleicht hat er sich noch gefragt, warum das alles. Vielleicht hat er sich gefragt: warum, verdammt, bin ich von meiner Frau und meinem kleinen Sohn an diesem schönen Spätsommertag vor der Arbeit in dei Kneipe, statt bei meine Lieben zu sein??

Ich bin der Frage nachgegangen ...

Als erstes gestand meine Mutter, daß es sich so zugetragen hatte. Auf die Frage, warum mein Vater vor der Arbeit einen trinken war, statt zu Hause zu bleiben, sagte sie nur sowas wie, er hat eben hin und wieder einen getrunken.

Jahre, nachdem ich am Ort des Geschehens war, war meine Mutter einmal in "Hochform". Sie hat meinen zweiten Vater, ihren zweiten Ehemann so geärgert, daß er mit Magenschmerzen nierderlag. Er ist kein wehleidige Typ. Jedenfalls nicht nach außen.

Im Grunde war auch nichts vorgefallen. Meiner Mutter hatte etwas nicht gepaßt. Sie hat ihren Frust so lange an meinen zweiten Vater abgeladen, bis er kapitulierte. Als er niedergestreckt war - er hat noch nie im Leben etwas mit dem Magen gehabt -, geschwächt und sehr blaß auf dem Sofa lag, sorgte meine Mutter sich plötzlich um ihn, ohne sich zu entschuldigen. Kaum hatte er wieder Farben im Gesicht, sagte sie schon, er solle nicht so wehleidig sein, Männer müssen was ab können.

Sie könne mir glauben, meine Mutter ist ruhiger geworden. Die Energien in ihr entladen sich nicht mehr so heftig. Damals, vor fast vierzig Jahren, noch ungeübt im Umgang mit ihren Kräften, hat sich keinen Rückzieher gemacht. Vielleicht wollte sie es, aber da war es zu spät. Mein Vater ist aufgebrochen und nie wieder zurückgekommen. Nie wieder, nie ... Günther, meine Tränen für Dich!