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Anzeige der FAZ: Soll die Rechtschreibreform zurückgenommen werden?

[Anzeige in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 19.08.2000]

 

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

seit die Frankfurter Allgemeine Zeitung zur bewährten Schreibung zurückgekehrt ist, wird auch anderswo überlegt, ob die Rechtschreibreform zurückgenommen werden soll. Viele Zeitungen haben deshalb Umfragen veröffentlicht oder selbst ihre Leser befragt. Nach einer in der "Woche" vom 3. August publizierten repräsentativen Umfrage wollen mehr als zwei Drittel der Bürger die Rücknahme der Rechtschreibreform.

Bei einer Internet-Abstimmung von T-Online waren 78,4 % für die Rücknahme, bei einer TED-Umfrage von ProSieben sogar 86 %. Die Rechtschreibreform ist also meilenweit entfernt von jener allgemeinen "Akzeptanz", die nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Schleswig vom Juli 1997 (das bekanntlich vom Bundesverfassungsgericht bestätigt wurde) eine notwendige Voraussetzung für die Einführung der Rechtschreibreform an den Schulen war und ist.

Da jedoch all diese Umfragen und Abstimmungen noch keine sichtbare Wirkung haben (vielleicht weil sie anonym sind), legen wir dieselbe Frage in sechs Zeitungen (Berliner Zeitung, F.A.Z, Münchner Merkur, Nordwest-Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Die Welt) möglichst vielen Mitbürgerinnen und Mitbürgern noch einmal zur Abstimmung vor.

Dies ist auch deshalb wichtig, weil die Deutsche Presse-Agentur (dpa) (laut Spiegel 32/2000) erwägt, "je nach Verlauf der Diskussion" die Zeitungen zu fragen, ob sie zur bisherigen Schreibung zurückwollen. Von den Zeitungen und ihren Lesern hängt es jetzt also ab, ob die Rechtschreibreform gegen den Willen der Mehrheit durchgesetzt werden kann oder nicht.

Bitte nehmen Sie diese vielleicht letzte Gelegenheit wahr, Ihre Meinung über die von oben verordneten Schreibveränderungen noch einmal und gemeinsam mit anderen kundzutun! Unsere Sprache gehört nicht den Kultusministern. Wir alle sind für sie verantwortlich.

Informieren Sie bitte auch Ihre Freunde und Bekannten! Wenn Sie schon einmal gegen die Rechtschreibreform unterschrieben haben, bitte tun Sie es noch einmal. Es muß doch in einer Demokratie möglich sein, daß der Wille der Mehrheit Gehör findet und sich am Ende auch durchsetzt!

Bitte schicken Sie den Abschnitt unten mit einer oder mehreren Unterschriften (wenn möglich auch aus dem Urlaub) an eine der genannten Adressen. Das Ergebnis wird in der Presse bekanntgegeben. Herzlichen Dank im voraus für Ihre Beteiligung!

 

Gabriele Ahrens geb. Ruta
Prof. Dr. Carsten Ahrens, Elsfleth
Sprecher des Volksbegehrens zur Rechtschreibreform in Niedersachsen

 

Friedrich Denk, Weilheim i.OB
Initiator der Frankfurter Erklärung zur Rechtschreibreform

 

Matthias Dräger, Lübeck - St. Goar
Sprecher des Volksbegehrens in Schleswig-Holstein

 

Näheres zum Thema finden Sie auch im Internet: www.rechtschreibreform.com.

 

Sieben Argumente für die Rücknahme der Rechtschreibreform

Die Rechtschreibreform war von Anfang an "überflüssig wie ein Kropf" (Prof. Roman Herzog).

Die Rechtschreibreform ist inhaltlich völlig mißlungen. Die oft wiederholte Behauptung, die Zahl der Schreibregeln sei von 212 auf 112, die der Kommaregeln von 52 auf 9 verringert worden, hat sich als Propagandatrick herausgestellt. Man hat nur die Zählung verändert. Insgesamt ist die sog. Neuregelung sogar deutlich umfangreicher als die bisherige. Und sie ist komplizierter. Schüler machen nachweislich mehr Fehler. In "reformierten" Büchern und Tageszeitungen, die bisher nahezu fehlerlos waren, wimmelt es geradezu von Fehlern.

Diese sog. Reform ist ein Rückschritt. Sie greift in unsere Sprache ein, eliminiert zahlreiche Wärter und reduziert so die gewachsenen Ausdrucksmöglichkeiten. Neben vermehrter "Getrenntschreibung" bringt sie mehr Großschreibung und führt zu einer Vielzahl von Orthographien. Das alles gab es schon einmal: im 19. und 18. Jahrhundert. Die Schreibung, die wir alle gelernt haben, ist im Gegensatz dazu modern.

Die Rechtschreibreform gefährdet die Einheit unserer Schriftsprache, die sich ein Jahrhundert lang bewährt hat.

Die Rechtschreibreform ist eine undemokratische Zwangsmaßnahme. "Hier sind die Parlamente von den Kultusministern vergewaltigt worden." (Landtagspräsident Horst Milde (SPD), Nordwest-Zeitung, 01.11.96) Doch auch die Parlamente haben versagt. So hat der Landtag von Schleswig-Holstein den Volksentscheid gegen die Rechtschreibreform nach nur einem Jahr annulliert.

Gerhard Augst, heute Vorsitzender der Rechtschreibkommission, schrieb schon 1982:

"Eine Änderung [der Rechtschreibungj über den Schüler zu erreichen, ist zwar verlockend und wäre, wenn es gelänge, auch am erfolgversprechendsten, aber sie setzt an am schwächsten Glied in der Kette."

Genau dies ist geschehen: Die Schule wurde zum Nasenring gemacht, an dem die störrische Gesellschaft zu den Schreibveränderungen gezerrt werden soll.

Die Rechtschreibreform schadet unseren Kindern. 1995 wurde behauptet, daß dank Rechtschreibreform die Fehlerzahl bei Diktaten bis zu 40 Prozent abnehmen würde. Inzwischen wissen wir durch die Untersuchung von Prof. Harald Marx (Universität Bielefeld), daß sogar Anfänger bei der S-Schreibung signifikant mehr Fehler machen. Noch schlimmer ist, daß die Schüler "Falsches lernen" müssen, wie Günter Grass in seinem Aufruf betont.

Daß die Rechtschreibreform auch das Lesen erschwert, weil man immer wieder über Schreibungen ("die Präsidentin der Skandal umwitterten Anstalt") stolpert und sich fragt, ob das Neuschreibungen sind oder "nur" durch sie verursachte Fehler, kommt noch hinzu. Überhaupt wird die Jugend durch die Schreibreform von der Literatur entfremdet; denn fast alle Bücher sind in einer Schreibung gedruckt, die in der Schule als "überholt" oder gar falsch angestrichen wird.

Wenn aber die Jugendlichen merken, daß sie von der Obrigkeit zu etwas gezwungen werden, was von den besten Schriftstellern und Fachleuten sowie der großen Mehrheit der Bürger bis hin zum Bundespräsidenten mit guten Gründen abgelehnt wird, dann könnten sie an unserer Demokratie zu zweifeln beginnen. Die Rechtschreibreform kann also die Politikverdrossenheit fördern.

Die Rücknahme der Schreibreform ist weitaus billiger als ihre Fortführung. Denn die Hauptkosten kommen erst dann auf uns zu, wenn sich die Mehrheit der Firmen und die literarischen Verlage dem Druck beugen. Auch macht jede Änderung der Reform (der in diesen Tagen auf den Markt geworfene 22. Duden enthält schon wieder Änderungen, und auch die Kultusminister haben Änderungen angekündigt, spätestens für 2005) teure Korrekturen in den Schul- und Kinderbüchern nötig. Deshalb ist es in jedem Fall günstiger, zur bewährten Rechtschreibung zurückzukehren.

 

Was geschieht in den Schulen bei einer Rücknahme der Schreibreform?

Bei einer Rücknahme wird sich das gegenwärtige Durcheinander in der Schreibung bald beruhigen. Die älteren Schüler, die jetzt beide Schreibungen vermischen und dabei ganz neue Fehler machen ("dass war daß einzige"), werden schnell wieder das ursprünglich Gelernte anwenden. Die Kleinen aber haben von der Neuschreibung in zwei bis vier Jahren Grundschule nicht einmal 40 Wörter gelernt. Die Rücknahme ist deshalb kein besonderes Problem.

Doch werden die Schüler eines dabei lernen: daß es sich in einer funktionierenden Demokratie lohnt, sich gegen unsinnige Anordnungen zu wehren. Und sie werden sehen, daß es möglich ist, aus einer Sackgasse herauszukommen, und daß die Erwachsenen manchmal doch dazu in der Lage sind, Fehler zuzugeben und zu revidieren.

 

Wissenschaftler zur Rechtschreibreform

550 Professoren für Sprach- und Literaturwissenschaft an deutschen und ausländischen Universitäten forderten schon im Mai 1998 die Rücknahme der Rechtschreibreform (inzwischen fordert dies der gesamte Deutsche Hochschulverband mit seinen 17 500 Universitätsprofessoren und -dozenten): "Eine derart fehlerhafte Regelung, die von den bedeutendsten Autoren und der großen Mehrheit der Bevölkerung mit guten Gründen abgelehnt wird und die Einheit der Schriftsprache auf Jahrzehnte zerstören würde, darf keinesfalls für Schulen und Behörden verbindlich gemacht werden."

Zu den Unterzeichnem der Erklärung gehörten u.a. die Professoren Heinz Ludwig Arnold (Göttingen), Wilfried Bamer (Göttingen), Helmut Berschin (Gießen), Manfred Bierwisch (Berlin), Bernhard Böschenstein (Genf), Peter Eisenberg (Potsdam), Jean Fourquet (Paris), Heinz Friedrich (München), Wolfgang Frühwald (München), Horst Albert Glaser (Essen), Eckhard Heftrich (Münster), Peter Uwe Hohendahl (Ithaca, NY.), Walter Höherer (Berlin), Walter Jens (Tübingen), Joachim Kaiser (München), Wolfgang Kasadc (Köln), Friedhelm Kemp (München), Marianne Kesting (Bochum), Helmut Koopmann (Augsburg), Gerhard Köpf (Duisburg), Gustav Korlén (Stockholm), Hans-Henrik Krummacher (Mainz), Hartmut Kugler (Vors, des Deutschen Germanistenverbands, Erlangen), Gert Mattenklott (Berlin), Christoph Perels (Frankfurt/Main), Peter von Polenz (Trier), Lutz Röhrich (Freiburg), Heinz Rölleke (Wuppertal), Ruth Römer (Bielefeld), Jost Schillemeit (Braunschweig), Wendehin Schmidt-Dengler (Wien), Albrecht Schöne (Göttingen), Christian Steuer (Aachen), Ingrid Strohschneider-Kohrs (München), Peter Suchsiand (Jena), Geil Ueding (Tübingen) und Jean-Marie Zemb (Paris).

 

Günter Grass: Aufruf an die deutschsprachige Presse

Der Literaturnobeipreisträger hat am 6. August folgenden Aufruf an die Presse gerichtet:

"Ich rufe die deutschsprachige Presse auf, dem Beispiel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu folgen und zur bewährten und besseren Rechtschreibung zurückzukehren. Dies entspricht dem längst bekannten und wohlbegründeten Willen der Mehrheit der Bürger, mithin sehr vieler Zeitungsleser. Das Festhalten an einem mißlungenen Reformversuch gegen den entschiedenen Willen der Bevölkerung nimmt - auch wenn dies nicht die Absicht der Verantwortlichen war - doktrinäre Gestalt an und widerspricht unserer mühsam erlernten demokratischen Verhaltensweise. Im übrigen lernen die Kinder infolge dieser Pseudoreform nicht das Leichte, sondern das Falsche."

 

Bisher wird dieser Aufruf u.a. unterstüt von folgenden Autoren, Verlegern, Professoren und Künstlern: Ilse Aichinger, Autorin, Wien; Egon Ammann, Verleger, Zürich; H.C. Artmann, Autor, Wien; Wolfgang BaIk, Verleger, Deutscher Taschenbuch Verlag; Prof. Dieter Borchmeyer, Germanist, Heidelberg; Prof. Alois Brandstetter, Autor und Germanist, Klagenfutt; Vicco von Bülow (Loriot), Autor; Dr. Klaus von Dohnanyi, Politiker; Milo Dor, Autor, Wien; Prof. Eberhard Dünninger, Germanist, ehem. Präsident der Bayerischen Staatlichen Bibliotheken; Ota Filip, Autor; Wolfgang Georg Fischer, Autor, Wien; Prof. Dietrich Fischer-Dieskau, Kammersänger; Prof. Horst Fuhrmann, Historiker (1992 bis 1997 Präsident der Bayer. Akademie der Wissenschaften); Gertrud Fussenegger, Autorin, Unz; Ulla Hahn, Autorin; Michael Hamburger, Lyriker und Übersetzer, Middieton, Suffolk; Thomas Hürlimann, Autor, Einsiedeln; Prof. Theodor Ickler, Linguist, Erlangen; Elfriede Jelinek, Autorin, Wien; Walter Kempowski, Autor; Prof. Hans-Matthias Kepplinger, Publizistikwissenschaftler, Mainz; Marie-Thèrése Kerschbaumer, Autorin, Wien; Prof. Helmut Kiesel, Germanist, Heidelberg; Wulf Kirsten, Autor; Gerhard Kofler, Autor, Bozen; Hans Krieger, Journalist (bis 1998: Bayer. Staatszeitung); René Kollo, Kammersänger; Erich Kuby, Journalist; Günter Kunert, Autor; Reiner Kunze, Autor; Siegfried Lenz, Autor; Prot Peter Lerche, Jurist; Dr. Beatrice von Matt, Kritikerin, Zürich; Prof. Peter von Matt, Germanist, Zürich; Friederike Mayröcker, Autorin, Wien; Helen Meier, Autorin, Mels/Schweiz Prof. Hans Mommsen, Historiker; Günther Nenning, Publizist, Wien; Prof. Horst H. Munske, Sprachwissenschaftler, Erlangen; Adolf Muschg, Autor, Zürich; Heidi Pataki, Autorin, Wien; Rosa Pock, Autorin, Salzburg; Christoph Ransmayr, Autoi Wien; Marcel Reich-Ranicki, Kritiker; Herbert Rosendorfes Autor; Prof. Werner Ross, Kritiker und Autor; Gerhard Ruiss, Vorsitzender der IG Autoren Österreichs; Albert v. Schirnding, Autor und Kritiker; Prof. Wieland Schmied, Kunsthistoriker (Präsident der Bayer. Akademie der Schönen Künste); Prof. Wulf Segebrecht, Germanist, Bamberg; Jürgen Serke, Publizist; Prof. Kurt Sontheimer, Politologe; Dr. Erica Swales, Germanistin, King's College, Cambridge; Prof. Martin Swales, Germanist, University College, London; Prof. Siegfried Unseld, Verleger; Julia Varady, Kammersängerin; Prof. Werner Veith, Sprachwissenschaftler, Mainz; Guntram Vesper, Autor; Ingo F. Walther, Kunstbuchautor; Martin Walser, Autor; Prof. Harald Weinrich, Sprachwissenschaftler, München/Paris; Prof. Jürgen Wilke, Publizistikwissenschaftler, Mainz; Prof. Bernhard Zeller, Germanist, Marbach; Josef Othmar Zöller, ehem. stellv. Direktor des Bayerischen Rundfunks.

 

Wer verteidigt noch die Rechtschreibreform?

Die Mitglieder der Rechtschreibkommission, z.B. Gerhard Augst oder Klaus Heller, und das Institut für deutsche Sprache in Mannheim (Leitung: Gerhard Stickel), das diese Kommission beherbergt, verteidigen mit allen Mitteln ihr mißratenes Produkt. Das tun auch die Kultusminister, die es an den Schulen eingeführt haben, und ihre Helfer unter den Lehrern und Eltern, vor allem die Vertreter bestimmter Verbände, deren Sprecher in dieser Frage die Position der Minister und nicht die Interessen ihrer Mitglieder vertreten, die sie wohlweislich nie befragt haben. Sie alle behaupten gegen jede Erfahrung. daß es in den Schulen überhaupt keine Probleme gebe. Proteste von seiten der Lehrer wurden mehrfach unterdrückt; die einzige unabhängige Umfrage unter bayerischen Gymnasiallehrern ergab ein Jahr nach Einführung der neuen Schreibregeln, daß 84 Prozent mit der Neuschreibung unzufrieden waren (Focus 23/1997). Auch die Schulbuch-, Kinderbuch- und Lexikon-Verlage (die schon umgestellt haben) verteidigen die Rechtschreibreform. Schließlich gibt es die Übereifrigen, die vorschnell auf den "Reformzug" aufgesprungen sind und jetzt nicht zugeben wollen, daß sie sich geirrt haben.

Unabhängige Fachleute, die die Rechtschreibreform verteidigen, sind uns nicht bekannt.

 

[Diese Anzeige habe ich gescannt und ins html-Format umgewandelt. Für Fehler, die dabei entstanden sind und während meines Korrekturlesens nicht verbessert wurden, bitte ich um Entschuldigung.]