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Rechtschreibreform - Süddeutsche Zeitung, Der Spiegel und der Springer-Verlag stellen auf die alte Rechtschreibung um - und wieder zurück


[06.08.04, fr, 22:25]

Was ich mir viele Jahre gewünscht habe, ist eingetreten!

 

Folgende Zeilen setzte ich eben auf die Startseite:

Die Süddeutsche Zeitung, das Nachrichtenmagazin Der Spiegel und der Springer-Verlag werden ihre Print- und Online-Titel auf die alte Orthographie umstellen!

Sehr geehrten Damen und Herren, ich danke Ihnen von ganzem Herzen für Ihren Mut und Ihre Entschlossenheit, zur bewährten Rechtschreibung zurückzukehren!

Ich freue mich so sehr!

(Siehe auch Tagebuch vom 6. August 2004.)


[11.08.04, mi, 11:06]

Die Auseinandersetzung zwischen Befürwortern und Gegnern der Rechtschreibreform wird immer schärfer.

In der heutigen Süddeutschen Zeitung habe ich in Leserbriefen unter anderem folgende Formulierungen gefunden:

Schrecken erfüllt mich darüber, dass die SZ ins Lager der FAZ und des Professors Theodor Ickler überlaufen könnte.

Ich lese die FAZ und besitze Icklers "Rechtschreib-Wörterbuch". Ich wäre froh, wenn alle Zeitungen mit soviel Niveau schreiben würden wie die FAZ und wenn außerdem nach Ickler geschrieben würde.

Bereits am 20.09.00 schreib ich:

Es hat mich erstaunt, wie einfach sich Rechtschreibregeln darstellen lassen, wie einfach sie sein können.
Ich dachte mir, das ist so einfach, das werden die Deutschen nicht mögen.
Außerdem sind es zuwenig Regel ;-))

Wahrscheinlich hat der Schreiber der obigen Zeilen noch nie in Icklers Buch hineingesehen.

 

Aber weiter mit Meinungen von SZ-Lesern:

Wenn ein Dichter für künftige Werke sich der neuen Schreibung verweigern will, muss man es wohl als überheblich oder altersstarrsinnig bezeichnen.

Wenn ich nicht wüßte, dies hat ein SZ-Leser geschrieben, würde ich wetten, es sei einer eines Hinterwälderblattes.

Alle, die im Allgemeinen nicht Stresssituation schreiben wollen (um nur zwei Beispiele zu nennen), sind "überheblich oder altersstarrsinnig". Ich glaube, das kommentiert sich von selbst.

 

Ja, wer glaubte eigentlich, die 30- bis 70-Jährigen würden sich freiwillig noch einmal in den Rechtschreibunterricht begeben [...]? Sich umgehend den neuen Duden kaufen?

Ich habe mir nicht nur einen Duden der neuen Rechtschreibung gekauft, sondern zwei: die 21. Auflage 1996 und die 22. Auflage 2000.

Sehr wahrscheinlich werde ich mir auch die 23. Auflage 2004 kaufen, die Ende August erscheinen soll.

Soviel Geld habe ich nicht ausgegeben, weil mein Duden der 19. Auflage 1986 auseinanderfiel, sondern um über den jeweiligen Stand der neuen Rechtschreibregel informiert zu sein.

 

Und die berühmten, häufig zitierten Romanproduzenten? Dass die nichts Neues mehr lernen wollen, dass ist doch wohl klar!

Das kann nur jemand schreiben, der nicht nur kein Schreiber ist, sondern auch neidvoll auf das Talent der großen deutschen Schriftsteller blickt.

Wenn mein Leben davon abhinge, könnte ich ab morgen in der neuen Rechtschreibung schreiben und würde nicht mehr Fehler machen als beim Schreiben in der alten, so sehr habe ich mich mit der neuen Rechtschreibung beschäftigt. Nicht weil ich mußte, sondern weil ich wissen wollte, welche Substanz die neue Rechtschreibung hat.

Ich bin überzeugt, die deutschen namhaften Schriftsteller könnte, wenn sie es gut finden, auch in der neuen Schreibung schreiben.

 

Soweit mein Kommentar zu ausgewählten und veröffentlichen Leserbriefen an die Süddeutsche Zeitung.

 

Eingehen möchte ich auch auf folgendes, was von vielen SZ-Lesern und Befürwortern der neuen Rechtschreibung im allgemeinen angeführt wird: Man solle doch an die vielen Kinder denken, die die neue Rechtschreibung gelernt hätten, zudem erwartet man von einer "innoativen, weltoffenen, liberalen Zeitung" (oder Menschen), sich nicht der "populistischen Aktion der Springer-Blätter und des Spiegels" und der "Tante FAZ" anzuschließen.

Das alles erinnert mich an Versammlungen der SED, wo immer Recht hatte, wer für den Fortschritt war. Und wer für den Fortschritt ist, ist klar, oder?

Ich bedaure zutiefst, daß die Äußerungen für die Beibehaltung der neuen Rechtschreibung so sehr mit dem ideologischen Holzhammer vorgetragen werden und frage mich, wie fortschritlich ist diese Reform, wenn man sie ein- und durchspeitschen muß.

Wenn sie eine Verbessung wäre, würde sie angenohmen. Auch ich würde nach ihren Regeln schreiben, obwohl ich längst kein Schüler mehr bin und viele Jahre nach den alten Regeln geschreiben habe.

Aber nur, um endlich eine reformierte Rechtschreibung schreiben zu können, werde ich nicht alles schreiben, was sich einige Leute ausgedacht haben.

 

Im Chat nach Sabine Christiansens Sendung vom 8. August 2004 "Aufstand gegen Rechtschreibreform - Chaos total?" wurde folgende Frage gestellt:

Warum z. B. darf jetzt nur noch 'so genannt' geschrieben werden, obwohl es auch 'sogenannt' gibt und dies etwas anders bedeutet?

Karl Blüml, Vorsitzender der Rechtschreibkommission antwortete:

Es wäre die Frage, was der Bedeutungsunterschied zwischen den beiden ist. Es gibt im Kontext keine Möglichkeit, dies zu verwechseln.

Ich kenne die unterschiedliche Bedeutung von "so genannt" und "sogenannt". Ob es der richtige Sinn immer im Kontext einstellt, kann ich nicht einschätzen, müßte ich doch alle Kontexte kennen.

Als Grund, ein Wort ungültig zu erkären, das Jahrhunderte gebraucht wurde und weiter gebraucht wird, ist dieses Argument jedoch unakzeptabel, zeigt aber eine Methode, nach der die Reformer gearbeitet haben.

Nicht nur, weil es die Ausdrücksmöglichkeit der deutschen Schriftsprache einschränkt, sondern auch, weil es die deutsche Sprache an sich verändert: Wenn man immer nur "so genannt" liest, spricht man es auch irgendwann.

So habe ich schon "so genannt" gehört, wo es "sogenannt" hätte heißen müssen.

Weitere Beispiele lassen sich finden, jedoch will ich nicht auf Einzelheiten eingehen. Die findet man sehr ausführlich auf den kritischen Seiten zur sogenannten Rechtschreibreform.

 

Ein Beispiel will ich aber noch vortragen, das ich letztens im Duden (22. Auflage) gefunden habe: nicht mehr gibt es das Wort

wiedergutmachen,

nur noch zulässig ist die Schreibung

wieder gutmachen.

Sicherlich meint Herr Blüml auch hier, eine Verwechslung ist im Kontext nicht möglich.

Laut Duden wird getrennt geschrieben, wenn wieder im Simme von "nochmals, erneut" verwendet wird.

"wieder gutmachen" heißt also, daß ich etwas noch einmal gut mache. Die Wiedergutmachung, aus der sich wiedergutmachen ableitet, ist aber kein erneutes, wiederholtes gutes tun, machen, sondern ein erstes gutes tun, nachdem etwas schlecht getan wurde.

Zusammen geschrieben würde es, wenn wieder "zurück" bedeutet. Wiedergutmachung ist für mich eine Zurückgehen, um einen schlechten Zustand besser zu machen oder dessen Folgen zu mildern.

Die Rücknahme der Rechtschreibreform ist also nicht "wieder gutmachen", denn sie war nicht gut, deshalb kann sie auch kein zweites Mal gut sein, sondern ein "wiedergutmachen", weil ein schlechter Zustand korrigiert wird und die dementsprechend schlechten Folgen gemildert werden.

Wenn ich das richtig verstehe als ein Schreibender, wie es viele gibt...

 

Nicht unerwähnt lassen möchte ich die Stimmen für die Umstellung auf die "alte" Rechtschreibung, die sehr viel sachtlicher formuliert sind, obwohl sie die "Rückwärtsgewandten" sind, die mit Worten wie "wenn ihr auf alte Rechtschreibung umstellst, abonniere ich die SZ für ein Jahr" oder "ich freue mich, daß sie zur alten Rechtschreibung zurückkehren".

Keiner der Befürworter schreibt so etwas wie "endlich zeigen Sie es den Möchtegernweltverbessern". Man freut sich. Fertig.

 

Wie ernst es der Redaktion der Süddeutschen Zeitung mit der Rückkehr zur alten, bewährten Rechtschreibung ist, zeigt folgendes:

Deshalb strebt die Süddeutsche Zeitung eine Regelung an, die vernüftige Neuerungen - etwas die ß- und ss-Schreibweise - übernimmt, es andererseits aber bei wesentlichen Teilen der alten Rechtschreibung belässt.

Also weiterhin Worte wie

Stresssituation, Schlussstrich

statt das viel besser lesbare Versionen

Streßsituation, Schlußstrich.

 

Dann, liebe Redakteure der Süddeutschen Zeitung, bleibt bei der neuen Rechtschreibung!


[11.08.04, mi, 13:30]

Was in einem Internet-Forum tobiit geschreiben, paßt zum Thema und hat mir sehr gefallen:

Dabei ist auch hier ein Faktum: Die neue Rechtschreibung erleichtert das Erlernen der Rechtschreibung und vermeidet viele Fehler, z. B. im Diktat. Faktum ist aber, daß die neue Rechtschreibung das LESEN erschwert. Es ist erwiesen, daß z. B. Schifffahrt vom Auge schlechter erfaßt wird als das herkömmliche Schiffahrt. Auch das ß und die Zeichensetzung erfüllen wichtige Aufgaben beim schnellen und sicheren Erfassen von Texten.
Vor dem Hintergrund, daß man im Laufe des Lebens viel, viel, viel mehr liest, als man schreibt, ist die sogenannte"Rechtschreibreform" eine "Falschlesreform" - und als solche mehr als kontraproduktiv!


[04.10.04, mo, 11:00]

Seit gestern, zum Tag der Deutschen Einheit, erscheint die Bild-Zeitung wieder in alter Reschtschreibung.

Seit heute Die Welt und die Berliner Morgenpost.

Toll, endlich kann ich wieder "Tips", "Schloß", "muß", "Kuß" usw. lesen.


[22.11.04, mo, 13:45]

Nachdem der Springerverlag auf alter Rechtschreibung umgestellt hat, lese ich keine Zeitungen und Online-Publikationen mehr, die in neuer Rechtschreibung erscheinen, habe sie sogar aus meinen Favoriten gelöscht.

Zu sehr habe ich mich immer wieder über die neue Rechtschreibung geärgert. Nun bin ich endlich nicht mehr gezwungen, solche Veröffentlichungen zu lesen, weil es ausreichend Alternativen gibt.


[07.03.06, di, 14:46]

Eben lese ich auf FAZ.de:

Die Axel Springer AG kehrt von der bewährten Rechtschreibung wieder ab, zu der der Verlag 2004 übergegangen war. Anlaß der Umstellung sei der Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 2. März, die Rechtschreibreform entsprechend der Vorschläge des Rats für deutsche Rechtschreibung verbindlich zu ändern, teilte Springer am Dienstag in Berlin mit.

Die Schreibweise soll demnach bis spätestens 1. August in den Zeitungen und Zeitschriften sowie den Online-Angeboten des Unternehmens geändert werden. Die AG wolle sich der Chance auf einen Konsens in Fragen der deutschen Orthographie nicht entgegenstellen, erklärte Springer. Das Unternehmen äußerte aber zugleich sein Bedauern, daß die Rechtschreibreform alles andere als ein überzeugendes Ergebnis vorzuweisen habe. Eine Einheitlichkeit existiert mit reformierter Rechtschreibung nicht mehr. Der Verlag werde nach Umstellung auf reformkonforme Schreibung bei Schreibweisen mit mehreren Optionen weitestgehend die klassische Rechtschreibung anwenden.

 

Schade, daß Springer wieder auf die "neue" Rechtschreibung umstellt.

Dabei waren sie sehr glücklich, endlich wieder "Schloß" schreiben zu können und zeigten es BILD-dick allen.

Damit ist es dann also vorbei, denn kann man zwar "so genannt" und "sogenannt" schreiben, ist nur "Schloss", nicht "Schloß" zulässig.

 

Damit gibt es bald von auflagenstarken Zeitungen nur noch die FAZ, die in "alter" Rechtschreibung schreibt; Spiegel und Süddeutsche Zeitung sind ja trotz Ankündigung bei der "neuen" Rechtsschreibung geblieben.

 

[18:00]

Auf Spiegel.de lese ich:

Die damalige Abkehr von der Reform sieht Springer-Vorstand Mathias Döpfner inzwischen mit gemischten Gefühlen: "Der Ansatz war völlig richtig. Wir haben aber die politische Wirkung unterschätzt. Das war naiv. Denn sofort begannen die Angriffe, ein Kartell habe sich Rechte angemaßt, was allein dem Parlament und dem Gesetzgeber zustehe. Warum haben Politiker eigentlich mehr Rechte als die, die von Sprache leben: Schriftsteller, Journalisten, Verleger?", sagte Döpfner dem Publizisten Michael Jürgs in einem Porträt, das heute in der "Süddeutschen Zeitung" zu lesen ist. Das jüngst gefundene Ergebnis wiederum könne sich, so Döpfner, "drucken lassen".

 

Für mich sind die Schlüsselworte: "Wir haben aber die politische Wirkung unterschätzt."

Die entsprechende Reaktion, so denke ich, hat Springer mit dem Nein des Kartellamtes zum Kauf von Pro7 Sat1 Media bekommen. - Wäre ja noch schöner, wenn Pro7, Sat1, Kabel1, N24, 9Live demnächst in der "alten" Rechtschreibung geschrieben hätten.

 

[19:00]

Auf Duden.de habe ich zur Ankündigung des Duden 2006 gelesen:

[...] nachdem die Kultusminister der deutschen Bundesländer die Vorschläge des »Rates für deutsche Rechtschreibung« für eine Modifizierung des amtlichen Regelwerkes der deutschen Rechtschreibung angenommen haben, kann die Rechtschreibreform als abgeschlossen betrachtet werden.

 

Der Optimusmus ist sehr erbaulich und erfreut mein Gemüt.

Falls die Rechtschreibreform doch nicht abgeschlossen ist, erscheint 2008 wieder ein neuer Duden, der dann wieder alle vorherigen - außer für Rechtschreibhistoriker - unbrauchbar macht.


[08.03.06, mi, 19:00]

Auf FAZ.de habe ich heute gelesen:

Rechtschreibreform: F.A.Z. bereit zum Kompromiß

Seitdem die Reform der Rechtschreibreform durch die Wiederzulassung zahlreicher Varianten die weitgehende Verwendung der bewährten Rechtschreibung möglich macht, ist die Frankfurter Allgemeine Zeitung grundsätzlich zu einem Kompromiß bereit. Zur Zeit werden die Details der Vorschläge des Rechtschreibrates geprüft. Die endgültige Entscheidung wird erst nach der Ministerpräsidentenkonferenz am 30. März gefällt werden.

 

So richtig wundert mich das nicht. Vielleicht liegt es daran, daß mir auch aufgefallen ist, was ein Leser in einem Kommentar, dem ich mich anschließe, bemerkt:

Nachdem in der FAZ trotz aller Bekundungen immer häufiger - selbst auf der ersten Seite, und von faz.net wollen wir hierbei lieber gar nicht reden - reformierter Murks aus dem Bereich der Getrenntschreibung (oder getrennt Schreibung?) zu lesen ist, kann man das ja wohl nur als Eingeständnis werten, daß Sie eben auch nicht mehr gegen das Chaos (oder Kaos?) ankommen. Schade.

 

Auch ich sehe größere Probleme als nur einen Rechtschreibung anzupassen:

Es steht allerdings zu befürchten, daß der Kompromiß zu einem "Kompromiss" entartet [...]

Alle (wirklich alle!) wissen, daß die ganze Veranstaltung "Rechtschreibreform" ein peinlicher Fehler war, selbst die kultuspolitische Leistungselite hat es mittlerweile zugegeben. Wie kann man zum jetzigen Zeitpunkt auch nur mit dem Gedanken spielen, sich der bürokratischen Anmaßung beugen zu wollen? Ich fasse es nicht. Alle sind dagegen, doch alle machen mit; da war doch was?

Die "Rechtschreibreform" ist der Lackmustest: Wir wissen nun endgültig, daß a) die Politik nur Probleme schafft und keine bewältigt und daß es b) mit der Demokratie in unserem Land nicht weit her ist. Obschon der weit überwiegende Teil der Bevölkerung die "Reform" ablehnt, geht die "Staatsräson" vor; es ist schlicht unglaublich. Wenn jetzt auch noch die F.A.Z. umfällt, kann es c) mit der unabhängigen Presse in Deutschland nicht zum besten stehen. Immer schön staatstreu, gelle?

 

Ob diese Sicht gerechtfertigt ist, kann ich nicht einschätzen, aber nachvollziehen:

Da ich davon ausgehen muß, daß man bei den Inhalten ähnlich wie bei den Schreibweisen bereitwillig den Vorschlägen aus Regierungskreisen folgt, fällt für mich der Grund für das teure Abonnement weg.

 

In Icklers Rechtschreibtagebuch schreibt jemand:

Die Vorstellung, daß 70 % der Reform zurückgenommen seien, ist in der Tat eine Fiktion. Mehr als 90 % der von der Reform betroffenen Schreibungen betreffen die Auflösung von ß in ss. [...] Auch die konservativste Auslegung der Zehetmairschen Rechtschreibung wird zu mehr als 95 % mit der Urreform übereinstimmen. In der jW habe ich prognostiziert, daß es für die Leser der Bild nicht zu erkennen sein werde, ob ihre Zeitung zu den Regeln von 2004 oder zu denen von 2006 zurückkehrt. Für die meisten Leser der F.A.Z. wird der Unterschied aber auch nicht erkennbar sein. Erkennbar ist nur die Kapitulation.

 

Auch diesem Kommentar schließe ich mich an.

 

Ob man "Leid tun", "leid tun" oder "leidtun", "heute abend" oder "heute Abend" schreibt, stört mich nicht besonders, weil es für das Verstehen eines Textes unerheblich ist.

Schreibungen wie "Stresssituation" hemmen das Lesen, aber nicht das Verstehen. Worte wie "Messergebnis" (Meßergebnis) kann man wohl meist aus dem Kontext erschließen. Beiden gemein ist, daß sie Neuerung sind und mehr Nach- als Vorteile bringen. Die "neue" ss-ß-Schreibung ist das Aushängeschild der Rechtschreibreform, aber wohl die sinnloseste Veränderung, die aber gleichzeitig am meisten nervt. Mehr jedoch nicht.

Problematisch sind jedoch Zusammen- und Getrenntschreibungen wie "wohl angekommen" oder "wohlangekommen", deren Bedeutung sich nicht aus dem Kontext ersehen lassen. Zusätzlich weiß man nie, wie der Schreiber (oder Setzer) die Regel handhabt.

"wohlangekommen" steht nicht im Duden 2004. Kann also gut sein, daß man interpretiert, man dürfe nur "wohl angekommen" schreiben.

 

So richtig regt mich aber weder auf, daß Springer wieder in der "neuen" Rechtschreibung schreibt, noch daß es wohl auch bald die FAZ tut, obwohl ich beide Entscheidungen nicht teile.

Kann gut sein, daß das aber nur an den Mittel zum Blutdrucksenken liegt, die ich seit einigen Tagen einnehme. ;-))

 

[22:25]

Theodor Ickler schreibt in heute in seinem Rechtschreibtagebuch:

Mich wundert, daß ich fröhlich bin

Die Meldungen von Spiegel, Springer und FAZ haben mich nicht geknickt.

 

Meine Gelassenheit liegt wohl doch nicht nur an der Einnahme eines blutdruchsenkenden Mittels. Oder Herr Ickler nimmt auch eins ;-)).

Kann gut sein, daß ich durch die Rechtschreibreform an sich (derer Ansatz, es einseitig den Schreibern einfacher zu machen, ohne auf die Leser Rücksicht zu nehmen, grundlegend falsch ist) und durch die Art, wie der Staat sie durchsetzen will, endgültig nicht mehr davon überzeugt bin, auf andere zu hoffen, damit etwas besser oder etwas Unnötiges verhindert wird.

Der Staat verspricht, was er nicht halten kann oder will, weil er zuviel mit sich selbst zu tun hat. Nicht nur gibt es in Deutschland seit Jahren immer weniger Arbeitslose, auch so wird das Leben immer besser, nicht nur für Berufstätige, Eltern, Kinder, sondern auch für Rentner. Das hat sich überzeugt: Vater Staat wird es schon machen!

So wie die Rechtschreibreformer an sich, nicht an die anderen, so denkt der Staat an sich, nicht an sein Volk.

Vielleicht werden Sie sagen, das ist alles zu abstrakt. Ich denke aber, jeder kann für sich selbst Beispiele finden, die große Worte, nicht selten Versprechen von sich geben, aber nichts davon halten.

Der Staat denkt an sich, also denke ich an mich.

Die Rechtschreibreformer hatten wohl nie wirklich eine Reform im Sinn, sondern wollten sich selbst heilen (indem ihre Rechtschreibfehler aus ihrer Schulzeit amtlich richtig werden) und sich in den Fordergrund (als Retter, Erneuerer) rücken, deshalb werde ich meine Rechtschreibung (und mein Schreiben an sich) selbst reformieren, das heißt so umgestalten, daß es meinen Leser leichter fällt, mich besser zu verstehen.

Darum geht es doch letztendlich beim Schreiben: Man möchte sich mitteilen und verstanden werden.

Also gibt man sich Mühe, hofft nicht darauf, daß andere die Arbeit tun.

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