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Wie neu ist die "neue" Rechtschreibung?

[17.01.03]

Gestern habe ich mir zwei Bücher des Schriftstellers Jostein Gaarders gekauft: eins ist in der "alten", eins in der "neuen" Rechtschreibung gedruckt.

Der Autor ist Norweger und kennst sich aus mit alten und neuen Rechtschreibungen - Norwegen streitet sich seit einem Jahrhundert über die Rechtschreibung (siehe Erfahrungen aus Norwegen).

 

Nun kann ich die Wirkungen vergleichen. Leider sind es verschiedene Titel ("Sofies Welt" in der alten, "Maya" in der neuen Rechtschreibung). Auch sind sie im Stil nicht so recht zu vergleichen. Trotzdem, es ist derselbe Autor.

Zumal mal die neue Rechtscheibung eher mit Jugend verbindet, die alte eher mit Alter. Nun ist das lebendigere Buch (Sofies Welt) in der alten, das bedächtige (Maya) in der neuen geschrieben. Meine Auswahl für einen Vergleich ist also keine gute Wahl. Aber ich wußte beim Kauf nicht, wie sich die beiden Bücher im Schreibstil unterscheiden.

Außerdem wollte ich ja auch ein anderes Buch des Autor kennenlernen, weil ich von Sofies Welt sehr angetan bin.

 

Mir fällt gerade ein, ich kenne ein Buch, daß es in zwei Rechtscheibungen gibt: Grit Poppe "Andere Umstände". Die Auflage von 1998, die ich habe, ist in der alten Rechtscheibung geschrieben, die von 2002 oder so in der neuen.

Falls der Vergleich bei Gaarder zu schwierig wird, kann ich ihn also auch bei Poppe durchführen.

 

Aufgefallen ist mir schon, daß ich auch schon vor Jahren, als es die neue Rechtschreibung noch nicht gab, teilweise in der neuen schrieb.

So schreibe ich wohl schon immer "im Dunkeln", "zum Besten gegen", "Albtraum".

Im Dunkeln schreibe ich groß, weil ich im Wasser auch groß schreiben würde.

Jetzt sehe ich, daß nach der alten Rechtschreibung, man einmal im dunkeln und einmal im Dunkeln schreibt.

Wenn man im ungewissen meint, schreibt man im dunkeln; meint man in der Finsternis, schreibt man im Dunkeln.

 

Verwunderlich und bisher für mich nicht nachvollziehbar ist folgendes: wehtun schreibt man jetzt zusammen, wohl weil man schon immer wehgetan schrieb, aber ... ich finde das Bespiel nicht, ich hätte es mir aufschreiben sollen.

 

Daß das Buch mit dem "reiferen" Stil in der neuen Schreibweise, das mit dem "jüngeren" Stil in der alten vorliegt, ist vielleicht auch von Vorteil für meinen Vergleich: Wenn das reifere Buch dadurch nicht jünger wirkt, das jüngere nicht reifer, dann überschätze ich wohl ist die Wirkung der verschiedenen Schreibweisen auf die Ausstrahlung des Textes.


[19.01.03, so, 5:00]

Wobei das mit dem Jünger- oder Älter-Wirken eine Frage des Jahres der Betrachtung ist. Bevor die jetzige neue Rechtschreibung "dass" schrieb, schrieb man es schon vor über 100 Jahren.

"Burgenkunde - Bauwesen und Geschichte der Burgen" von Otto Piper besitze ich im "verbesserten und erweiterten Nachdruck der 3. Auflage von 1912", erschienen 1995.

Aus dem Vorwort zur ersten Auflage:

Dass ich mich auch da, wo ein Fremdwort gebräuchlicher sein mochte, tunlichst deutsch zu schreiben bemühte, wird besonderer Rechtfertigung nicht bedürfen.

Im übrigen liegen das Verständnis wie, gutenteils auch an massgebenden Verwaltungsstellen, das Interesse für unsere Burgruinen noch sehr im argen.

[Seite X]

Aus dem Vorwort zur zweiten Auflage:

Merkwürdigerweise haben freilich zwei Kritiker der ersten Ausgabe unabhängig voneinander gleichmässig es statt dessen zu tadeln gewusst, dass ich nicht ...

[Seite XII]

In der neuen Rechtschreibung würde man allerdings "im Übrigen", "Maß gebende", "gleichmäßig" schreiben.

 

Und das größe Ärgernis "kennenlernen" schreibt Otto Piper wie folgt:

Was die Römer aber von den deutschen "Burgen" kennen gelernt haben mögen ...

[Seite 3]

 

Noch verwirrender wird das vermeintlich Jünger-Wirken in dem Buch "Das Mittelalter" von Rudolf Kleinpaul, das 1885 erschien und ich in einem unveränderten Nachdruck von 1998 besitze.

Es ist recht, hiess es, wenn einer in die Trustis aufgenommen wurde, dass wer uns unverletze Treue gelobt, unseres Schutzes geniesse.

[Seite 7]

Im Abschnitt "Mittelalterliche Rechte und Vorrechte" schreibt Kleinpaul:

Wenn es dem gestrengen Herren gefiel, so mussten die Leute auch in den Burggräben das Wasser schlagen, um die Frösche zum Schweigen zu bringen, wenn die Gnädige Frau in die Wochen gekommen war; oder aber er forderte von ihnen die kleine Gefälligkeit, von der alten Linde bis zum Schloss auf Einem Beine zu hüpfen und die Thürklinke zu küssen - oder ihm und der Schlossherrin auf den Abend einen Mummenschanz zu bringen und die Betrunkenen zu spielen - oder sonst etwas Lustiges und Karsthanswurtartiges.

[Seite 29f]

So modern "musste" und "Schloss" auch aussehen, im Kontext wirken sie es nicht mehr, denn wer würde sich heute so ausdrücken. Er recht unmodern wirken die beiden, wenn im gleichen Text "Thürklinge" steht. Und ob man heute "auf Einem Beine" schreibt, glaube ich nicht.

 

Ich will also sagen: Heute mag der Schreiber modern wirken, wenn er "dass", "musste", "im Übrigen", "Tunfisch", "kennen lernen", "Schifffahrt", "aufwändig" schreibt, in einigen Jahren wird man vielleicht sagen, das war einer, der jeden Scheiß gehorsam mitgemacht hat.

Könnte doch sein, oder?

 

Gut fände ich es, wenn sich jeder Schreiber fragt, wie weit er die neuen Rechtschreibregeln umsetzt, wenn er die alten Rechtschreibung nicht bevorzugt.

Wir können nicht bestimmen, was irgendwelche Kommissionen beschließen, aber wir können es stur oder schöpferisch umsetzen.

 

Generell ärgert mich heute nicht mehr so wie wie im Sommer 2002, daß die neue Rechtschreibung als amtlich beschlossen wurde.

Ich werde ja auch nicht gefragt, ob ich den Euro will, welches Land demnächst in der EU ist sein wird oder nicht, oder wo unsere Verbündeten wieder mal militärisch für Ordnung sorgen. Das finde ich viel schlimmer, denn den Auswirkungen dieser drei Veränderungen kann ich mich nicht entziehen. Ob ich in der neuen oder alten oder meiner eigenen Rechtschreibung schreibe, bestimme ich immerhin selbst.


[23.01.03, do, 9:59]

Heute las ich in der "Welt" auf Seite 25 in "Ende einer freidlichen Revolution" über die Formel 1:

Gewinnen wird am Ende der Zuschauer, dem ist die Technik Wurscht."

Da die Welt in der neuen Rechtschreibung druckt, dachte ich: das geht ja gar nicht.

Gemeint ist ja nicht, daß Technik Wurst ist, sondern egal.

Ich habe nachgeschlagen. Auch in der neuen Rechtschreibung schreibt man nicht nur "du bist klasse", sondern auch "das ist mir wurst [wurscht]".

Wobei man in der alten Rechtschreibung "das ist mir Wurst [Wurscht]" schrieb. Hätte ich nicht gedacht. Ich regte mich also über die alte Rechtschreibung auf, die die "Welt" in diesem Fall angewendet hat.


[10.08.03, so, 16:45]

Als modern scheint mir auch zu gelten, vermehrt "welche" zu schreiben. Sprechen habe ich es noch keinen gehört. ;-))

Man schreibt also lieber "das Haus, welches ..." als " das Haus, das ...".

Ist aber auch nicht modern. In den oben zitierten Büchern wird ausschließlich "welche" geschrieben.

 

Ich habe den Eindruck, mit der Spreche verhält es sich ähnlich wie mit der Mode: Erst werden die Rücke kürzer, was alles als eine Revolution oder als Verdammnis bezeichnen. Dann werden die Röcke wieder länger, was man dann als Rückschritt oder als Erlösung sieht. Und irgendwann beginnt alles von vorn.

Das ist mir eine modische Mode aber lieber als eine modische Sprache. Damit meine ich jedoch nicht, Sprache sollte sich nicht verändern. Eben nicht von Oben diktiert.

Aber Mode kommt wohl immer von Oben, oder? Mal von den Mode-Zaren, mal von den Kultur-Zaren.

Ich finde beides unerträglich, spricht es doch für die Unmüdigkeit des einzelnen.


[11.08.04, mi, 10:52]

Um anzuschließen: An der Uni sprechen einige Studenten inzwischen auch lieber "welche" statt "das".

Ich faß es nicht!

 

Eigentlich schreiben wollte ich: In einem Buch von 1851, das ich nur kurz in der Hand hatte, wurde, um das Thema "Wie schreibt man modern?" aufzugreifen, folgendermaßen geschrieben:

im Wesentliche, im Allgemeinen, Meyer's.

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[31.03.05, do, 21:57]

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