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Hermann Kant

[22.05.99]

Ich schreibe nicht erst heute über Hermann Kant, weil ich nach den Vorwürfen, er sei IM gewesen, nichts mit ihm zu tun haben wollte. (Siehe: Stasi.) Sondern weil mich sehr viel mit ihm verbindet und ich erst allmählich bereit bin, mich über meine tieferen Gefühle zu äußern.

Seine Bücher gaben wir oft Halt und Orientierung in meinem Leben. Vergessen Sie nicht, ich lebte 30 Jahre im Osten Deutschlands! Da las man entweder Christa Wolf oder Hermann Kant - um das mal zu vereinfachen. Die Wolf konnte ich nie leiden!

[Anmerkung am 04.09.00: Damit konnte ich mich nie recht anfreunden. Lesen Sie, wie ich am 13. August 2000 Christa Wolf näherkam: leben 2.]

Als ich einmal 5 Tage Einzelhaft im Standortknast Eggesin hatte, hätte ich die nicht ohne Hilfe Mark Niebuhrs durchgehalten. Der Ich-Erzähler aus dem "Aufenthalt" hatte Erfahrung mit dem Gefängnis. Ich nicht.

Das "Impressum" laß ich zuerst (Ende 1977). Den "Aufenthalt" 1978. Meine Weitschweifigkeit - ich mußte immer so viele Aspekte beachten, daß ich nie zum Kern kam - ließ mich seiner "entsetzliche Beredsamkeit", wie er sich selbst kennzeichnet, sehr nahefühlen. Außerdem wollten wir wohl beide gefallen und machten vieles, was wir nicht wollten. So fühlte ich.

 

So beginnt "Der Aufenthalt":

Meine Mutter ist nicht mit zum Bahnhof gegangen. Sie hat nicht gesagt, warum, und ich habe sie nicht gefragt. Es war kurz nach sechs, vierzehn Tage vor Weihnachten, und auch im Zug war es dunkel.

Ich fuhr nach Kolberg, und so lief alles falsch. Keine meiner Vorstellungen ging auf, außer der einen: daß ich gehen mußte.

Ich hatte geglaubt, meine Mutter würde mit zum Bahnhof kommen, denn sie ist auch hingegangen, als mein Vater abfuhr. Ich habe immer reifen Mais zu meinem Abschied gesehen, wohl weil der Mais gerade reifte, als mein Bruder eingezogen wurde, und ich bin auf Sennelager in Westfalen gefaßt gewesen.

Jetzt Kolberg und im Winter. Kalter Osten, wohin sie mich holten, und der Eisenbahner zog ein Gesicht, als er mein Einberufungspapier las. Seine Lampe war blau verdunkelt; das kannte ich lange, aber jetzt sah ich, wie häßlich dies Licht machte. Alles war häßlich. Alles ist häßlich gewesen, als ich fortgegangen bin, und ich habe nichts Gutes geahnt.

Dazu gehörte nichts, denn ich wußte, wohin ich fuhr. Ich fuhr in den Krieg, und ich wußte schon, wie der war. Meine Mutter wußte es auch; sie hatte einen Mann und einen Sohn an die Bahn gebracht.

Ich glaube, sie hat deshalb nicht mehr an den Zug gewollt;  auch wäre sie diesmal auf dem Heimweg allein gewesen. So blieb sie wohl lieber allein in unserer Küche.

Auf der Fahrt hatte ich schon Heimweh nach ihr. Ich war kein Muttersohn; ich war, wie man mit achtzehn ist, wenn man schon selber Geld verdient und sich unter Familie nicht mehr vorstellt, als genug zu essen und saubere Wäsche. Aber im Zug hatte ich Heimweh. Und auf der Hochbrücke über den Kanal nahm ich bedrückt Abschied von meiner Heimat. Mir schien es der Augenblick dafür zu sein, und der Ort war auch richtig. Die Brücke ist lang genug für eine Menge Gedanken.

(Aus: Hermann Kant "Der Aufenthalt", Rütten & Loening, 1977, Seite 7f.)


[15.07.01]

Am 5. Juli 2001 sendete der ORB um 21.30 "Querstraße - Gefeiert und verdammt - der Schriftsteller Hermann Kant".

Sinngemäß wurde gesagt, man könne Kants Leben nur verstehen, wenn man die Zeit betrachtet, die er als Krieggefangener betrachtet.

Kant sagte dazu (ich hoffe, ich gebe den Sinn korrekt wieder): Als er war, wo einst Warschau stand, wurde ihm klar, daß er etwas tun müsse, damit sowas nicht wieder passiert. So konnte seine Entscheidung nur sein, sich für die sozialistische Idee einzusetzen.

Ich denke, diese Entscheidung läßt sich nicht allein mit seinem Aufenthalt im Gefangenenlager erklären, sondern nur mit seinem Leben vor der Einberufung.

Denn die Umsetzung der sozialistischen Ideen war nicht die einzige Möglichkeit gegen eine Wiederholung eines Krieges von deutschem Boden anzugehen.


[01.10.2012, mo, 22:00]

Neben "Impressum" und "Aufenthalt" habe ich auch "Die Aula", mehrere Erzähl-Bände, "Stockholm" sowie auch Bücher gelesen, die nach dem Ende der DDR erschienen sind.

Von allen deutschen Autoren, die ich gelesen habe, fühle ich mich Hermann Kant am nächsten.

Einmal war ich auf einer seiner Lesungen.

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