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Befreiung ausgeschlossen - Informationssucht?

[19.01.99, 07:30]

Siehe auch Sucht.

Dort stellt sich die Frage, ob Informationssucht das Belohnungssystem auf ähnliche Weise schädigen kann wie Alkohol.

Wie auch immer die Antwort ausfällt, ich habe mein Abo der Berliner Morgenpost zum 28.02.99 gekündigt. Eine andere Möglichkeit zu einem kontrollierten Lesen konnte ich nicht durchsetzen.

Das Ernste an meine Situation ist, daß ich die Informationen, nach denen ich jage, eigentlich nicht brauche. Die Dinge, die ich unbedingt wissen muß, interessieren mich eigentlich nicht. Das sorgt mich. Wenn ich sie dann habe, beschäftigen sie mich dermaßen, daß ich zu den Dingen, die ich machen wollte, nicht mehr komme. Damit meine ich nicht unbedingt die Arbeit fürs Studium. Auch zu anderen Vorhaben reicht die Zeit einfach nicht mehr. Das frustriert mich dann. Und statt die Zeitungen nie wieder anzufassen, bringe ich am nächsten Tag die nächste mit. Und so weiter ...

Habe ich außer den harten Drogen und der Spielsucht inzwischen alle Süchte ausprobiert?


[19.01.99, 15:00]

Insgeheim hoffte ich, das Ziel meine Informationssucht umzulenken. Wenn ich nicht mehr, so dachte ich, soviel in Zeitungen lese, wird es mich wahrscheinlich wieder mehr zu Büchern ziehen. Oder besser: Wenn mich nicht mehr in meiner Freizeit mit Psychologie in Zeitungen beschäftige, werde ich meinen Hunger wahrscheinlich wieder in Büchern stillen.

Ob das eintritt, wird sich noch zeigen ... Ein positives Ergebnis liegt jedoch schon vor: In der Märkischen Allgemeinen Zeitung (gibt es noch nicht online) las ich einen Artikel zum Thema "Atomausstieg". Für das Land Brandenburg kein Thema - der einzige Atomreaktor wurde 1990 abgeschaltet.

>>Brandenburg hat gut lachen: Der Ausstieg aus der Kernenergie, über den in Bonn noch gestritten wird, ist in der Mark längst vollzogen. Wie die anderen Bundesländer im Osten Deutschlands auch, wurde Brandenburg mit dem Ende der DDR zur atomfreien Zone. Und so soll es bleiben. "Die Forderung nach dem Ausstieg hat in unserem Hause Kontinuität", berichtet Dieter Schütte, Sprecher des Umweltministeriums.<<

Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) bezog bereits in seiner ersten Regierungserklärung vom Dezember 1990 Position gegen die Kernenergie. Auch Ex-Umweltminister Matthias Platzeck (SPD) fand diese Variante der Energiegewinnung stets "unverantwortlich".(MAZ vom 19.01.99)

Damit ist das Thema für mich als Brandenburger vom Tisch. Ich meine, durch diesen Artikel ist mir bewußt geworden, daß ich mich mit Fragen beschäftige, die mir bei der Lösung meiner Probleme eher im Weg stehen als mir zu helfen. Also Abtauchen in die kleinere Welt, um sie in Ordnung zu bringen. Im Grunde der erste Punkt der Methode KopfDemokratie: Abstandnehmen.


[Anmerkung am 16.02.99: ich war damals sehr gestreßt, die Veränderungen in meinem Leben gehen oft schneller, als ich sie realisiere; wenn ich mir keine Zeit nehme, um die Gefühle und Gedanken zu ordnen und zu deuten, das heißt, wenn ich nicht mein "normales" Leben unterbreche, entsteht ein Durcheinander in mir, daß ich nicht mehr weiß von vorn und hinten ist - das äußert sich dann in dem Wunsch nach einer überschaubaren Welt ...]


[29.01.99]

Meine Berliner Morgenpost ist zum 28.02.99 gekündigt ... und wird bis dahin von jemand aus dem Haus gelesen. Ich habe mir diese Woche jeden Tag die MAZ mit nach Hause gebracht - aber nicht gelesen. Auch keine Welt gelesen.

Was ich an Zeitungen konsumierte beschränkte sich auf die Schlagzeilen der Zeitungen, die ich austrage. Das hat mir schon gereicht.


[07.02.99]

Bereits voriges Wochenende las ich wieder in der Literarischen Welt, aber das regte mich alles ziemlich auf. Ich zerknüllte und zerriß die Zeitung. Vielleicht wehrte ich mich einfach nur gegen einen anstehenden Mißbrauch.

Gestern las ich den Artikel zu James Patterson. Das Leben von Schriftstellen fasziniert mich schon sehr lange, und wenn ich dann solche Sätze wie ...

>>Den Bart, den er Jahrzehnte lang trug, hat sich der 50jährige abrasiert. Ein Zeichen. "Vorbei die Zeit als ich mich versteckte! Endlich habe ich mein Glück gefunden: meine Liebe und den Beruf, der mir Freude macht", sagt Patterson. Der schöne Beruf dieses netten Mannes ist das Verfassen von Romanen.<<

... im ersten Absatz lese, tauche ich ab, ohne Luft zu holen, und komme erst wieder als Licht, wenn ich jedes Wort eingezogen habe. Und natürlich mußte ich diesen Artikel in mein Online-Archiv bringen.

Erstaunlich nur, wie schnell ich doch bestimmte Sache nicht mehr erinnere: Wie bekomme ich den Artikel nun am besten auf meine Seiten, welche Größe hatten doch immer die überschriften, wie arrangierte ich die Fotos, wie weit habe ich sie komprimiert ... Die paar Worte umsetzen, das Foto scannen, bearbeiten - erst nach einer Stunde war es geschehen, weil ich "aus der übung" war.

Nun, meinen Bart (siehe: Private Seiten) habe ich mir schon vor einigen Jahren abrasiert, ähnlich empfunden wie Patterson. Ich stand vor dem Spiegel, sah mein Gesicht und sagte vor meinem ungewohnten Anblick: jetzt verstecke ich mich nicht mehr.

Was mich allerdings immer noch ängstigt: die Leidenschaft, das suchthafte Vertiefen, das Treiben ohne Orientierung - der Rausch, der immer stärker wird, je tiefer man in seine Seele abtaucht. Ich bin gefährdet, ich kann ohne jegliches Zeitgefühl Tage zu Hause sein, im abgedunkelten Raum vor dem Computer, Schreiben, Lesen, Erschaffen  - aber ich muß einer Arbeit nachgehen, und so tauche ich immer wieder auf. Aber was, wenn ich nicht rechtzeitig zurück komme.


[14.02.99, 07:00]

Gestern habe ich mir wieder einmal die Berliner Morgenpost gegriffen - das Abo läuft ja noch bis 28.02.99.

Was soll ich sagen ... was mich anzog, als ich die Zeitung abonnierte, finde ich noch immer gut und in der Berliner Morgenpost: Die Zeitung ist ein warme, sehr gut geschriebene und sehr lokale Zeitung. (Die Berliner Zeitung, die ich vorher abonniert hatte, bestellte ich ab, weil die Zeitung mir zu kalt war, irgendwie immer von oben herab.)

Dann fand ich gestern auch den Artikel "Der Monitor steht unterm Tisch - Wie Blinde Internet und Computer nutzen". Nun gut, zu diesem Thema hatte ich ja auch in der Welt gelesen: "Mit Blindows durch das Internet".

Und die MAZ? Meist ... Ach, irgendwie mag ich die Berliner Morgenpost, auch - oder gerade weil - ich mich über sie aufregen kann, wenn sie zum Beispiel, nach meinem Geschmack zuviel über ... schreibt, weil man wahrscheinlich nicht zuviel darüber schreiben kann, mich es trotzdem nervt. Aber sie ist eben einfach gut gemacht, gut geschrieben - das alles kann ich von der MAZ nicht sagen, sie ist zwar besser geworden, aber was sagt das schon.


[14.02.99, 16:00]

Eine Auswahl der Themen, die ich in den Ausgaben der Berliner Morgenpost von gestern und heute interessiert gelesen habe (ohne Rangfolge aufgeführt):

Bei der Berliner Zeitung fand ich in der Wochenendausgabe oft nur ein oder zwei interessante Artikel ...


[14.02.99, 21:00]

Esra und ich werden uns ein Abo der Berliner Morgenpost teilen. Damit bezahlst jeder 7,95 DM für eine Berliner Morgenpost pro Monat (Studentenabo kostet 15,90 DM).

Wir werden uns auch nicht ins Gehege kommen. Ich lese zuerst und scanne eventuell Bilder ein. Esra liest danach und schneidet sich eventuell Artikel aus.

Müßte ich ja ohne Unterbrechung am 1. März fortsetzen können.

Ich wünsche mir, nicht wieder unkontrolliert zu lesen. Lesen ist nicht wie Trinken, mit dem ich aufhören kann, ohne etwas zu vermissen ....


[15.02.99, 11:00]

Habe mein Abo der Berliner Morgenpost aktiviert. Nahtlos geht die Lieferung zum 1. März 1999 weiter.


[15.03.00]

Zum Herbst 1999 habe ich das Abo der Berliner Morgenpost gekündigt, habe aber jeden Tag eine bekommen.

Seit ich beim Einräumen meiner neuen Wohnung die Vision von der Bodenkammer meiner Kindheit hatte und ihr folgte, interessiert mich die Berliner Morgenpost nicht mehr besonders (sie ist eher eine Zeitung für die Kleinen, besser gesagt, um die Kleinen zu beruhigen, abzulenken, mundtot zu machen). Jetzt sieht es mich nicht nur als Kontrast zur Berliner Morgenpost zur Welt, sondern ausschießlich.

Heute habe ich ein Probeabo der Welt bestellt (siehe Tagebuch vom 15.03.00).


Zum Anfang: Versuch meiner Gesundung.